Rezension: „Surf Photography“ von LeRoy Grannis
Ich meine, es war im Jahr 2005, als ich während eines Kalifornienurlaubs in Hermosa Beach völlig erschöpft von einer Radtour (in jugendlichem Leichtsinn hatten meine Mitfahrer und ich uns vorgenommen, sämtliche Strandstadtteile abzufahren), in einer Strandbar saß und ein hawaiianisches Lager trank. Wir warteten auf eine gnädige Seele, die sich bereit erklärt hatte, uns und die Räder mit dem Auto abzuholen und füllten unsere leeren Mägen mit Spare Ribs. Im Hintergrund lief ein Dokumentarfilm aus dem Jahr 1966, „The Endless Summer“, der zwei Surfer bei ihrer Reise um den Globus begleitete, um einen den Titel entsprechenden Sommer zu erleben. Ich war sehr fasziniert, da dieser atmosphärische Film das Lebensgefühl und die Sehnsüchte einer ganzen Generation wiederzugeben schien.
Als ich dann diesen Bildband in den Händen hielt, musste ich augenblicklich an „The Endless Summer“ denken. Ich roch wieder Spare Ribs, hatte einen herben Geschmack auf der Zunge und ein Zucken in der Wade. Man sagt ja, dass Gerüche Erinnerungen hervorbringen, bei mir scheinen es Bildbände zu sein.
„Surf Photography“ war zwischenzeitlich vergriffen und wurde nun wieder neu aufgelegt. Das in Leinen gebundene Buch umfasst 400 Seiten und landet somit nicht unbedingt in der Strandtasche, aber vielleicht auf dem Coffee Table im Bully. Das dreisprachige Vorwort erzählt viel über Grannis‘ Schaffen und gibt Einblicke in die gesamte Szene, in der er sich damals bewegte. Er fotografierte nicht nur Surfer in Aktion, sondern auch das Umfeld drum herum, die volksfestartige Atmosphäre bei Wettbewerben, Strandszenen, Surfboardläden, machte Werbeaufnahmen für Sporthersteller etc. Seine Bilder verkaufte er zumeist an Surfmagazine und trug damit zur Verbreitung dieser Sportart bei. Die Aufnahmen sind vorwiegend in Kalifornien und auf Hawaii entstanden.
Das Papier ist gewohnt griffig und die Farbwiedergabe wunderbar. Ich liebe die analoge Anmutung, die Tonungen der alten Aufnahmen und die Körnung. Da das Buch sehr dick ist, hat man auf einigen Seiten an der Leimung beim Aufblättern etwas Kollateralschaden, sprich Farbverluste in der Falz. Das ist aber auch schon der einzige Wermutstropfen.
Grannis kam aus dem Hobby heraus zur Surffotografie. In den 60er und 70er Jahren gab es nur eine Handvoll Fotografen, die so etwas machten. Ohne ihn würde es Hunderte stilprägender Bilder nicht geben. Und wir wollen nicht vergessen: damals war noch nichts mit 11 Bildern pro Sekunde in Serie oder Autofokus. Da ging man auch nicht ins Geschäft und sagte: „Hallo, ich bräuchte mal eine Unterwassertasche für meine Kamera.“ Da baute man so etwas noch selbst! So ist es nicht verwunderlich, dass er ungeheure Mengen an Bildern produzieren musste und ein riesiges Privatarchiv hinterließ. Grannis surfte selbst, dadurch kam er teilweise sehr nahe mit eigenem Board an die Surfer heran und die Aufnahmen sind nicht zuletzt auch aufgrund der Nähe zum Objekt beeindruckend.
Beim Betrachten der Fotos kann man gar nicht anders, als sehnsuchtsvoll zu seufzen. Es sind ästhetische, stimmungsvolle Aufnahmen, die eine ganze Ära aufleben lassen. Eine Zeit, in der die Strände noch nicht restlos übervölkert waren und nicht alles durchkommerzialisiert war. Junge Menschen, eins mit der Welle, den Augenblick genießend, durch die Pipeline gleitend. Wie viele seiner Aufnahmen, ausgeschnitten aus Magazinen, wohl an den Wänden von Jugendzimmern hingen und angeschmachtet wurden? Das ist vielleicht auch die Ironie der Geschichte: Bilder wie die von Grannis oder Filme wie „The Endless Summer“ trugen die Romantik und das Lebensgefühl dieses Sports in die Welt hinaus, und weckten damit die Begehrlichkeiten auch in anderen Menschen. Somit sind wir wieder bei der Weisheit: „Ein Rat unter Freunden: Sag‘ es NICHT deinen Freunden!“.
Allerdings kann ich mir eine Spitze nicht verkneifen: Frauen tauchen in dem Band vorwiegend als schmückendes Beiwerk auf. Zwar wird im Text erwähnt, dass es auch Frauenweltmeisterschaften gab, aber meistens sieht man sie nur mit einem Surfbrett unter dem Arm am Strand spazieren. Es gab über 70 Motive wie das obige: Surfer auf Board, umgeben von tosenden Wellen. Darunter waren zwei Aufnahmen, die Frauen zeigten. Offenbar haben sich diese Bilder nicht gut genug verkauft oder Grannis hatte schlicht kein eigenes Interesse. Man kann natürlich an dieser Stelle auf den Zeitgeist verweisen. Aber es konnte auch damals schon jeder selbst entscheiden, ob man Teil des Problems oder Teil der Lösung sein möchte. Mittlerweile haben wir ja etwas mehr Gerechtigkeit. Während man in den 60ern und 70ern als Surfergirl offenbar schlank und grazil zu sein hatte, durften die Weltmeister einen kleinen Bauchansatz haben. Mittlerweile erwartet man von beiden Geschlechtern ein Sixpack.
Für wen eignet sich dieses Buch? Wer sich für den Surfsport interessiert oder ein Retroherz hat und den Lifestyle einer vergangenen Generation einatmen möchte, dürfte beim Blättern voll auf seine Kosten kommen. Menschen, die die abgebildeten Strände aus der Gegenwart kennen, könnten auch den einen oder anderen Aha-Moment erleben. So sieht der Strand also aus, wenn kaum einer da ist… Und der Band hat das Potenzial, die Laune an einem verregneten Sommertag anzuheben.
Die Bilder wurden mir freundlicherweise vom TASCHEN Verlag zur Verfügung gestellt.
Bibliographische Angaben: LeRoy Grannis, Steve Baroletti, Jim Heimann. Surf Photography. In Leinen gebunden. 17,2, x 24cm. 400 Seiten. Preis 30€. Erschienen bei TASCHEN.
{Werbung, da Nennung eines Produkts. Der TASCHEN Verlag hat mir diesen Band kostenfrei zur Rezension zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus erhielt ich kein Honorar. Der Artikel spiegelt meine Meinung wieder, welche ich mir Kraft meines Geistes selbst bilde.}