„back to the roots“ oder: analoge Lektionen
Vor geraumer Zeit ergab sich die Gelegenheit, das oben abgebildete Schätzchen zu erstehen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich liebäugelte schon länger mit einer analogen Mittelformatkamera und nun trat sie in mein Leben. Was bedeutet analoges Mittelformat? Viele von uns kennen noch die analogen Filmkameras von früher mit sogenannten Kleinbildfilmen, die Größe des Negativs entspricht dort dem eines Dias. Das Mittelformat hat größere Negative, in meinem Fall 4,5cmx6cm. Das höchste der Gefühle sind nicht 36, sondern 12 Aufnahmen auf einem Film. Wozu ist das gut? Mittelformatfilme erlauben Vergrößerungen, die mit einem Kleinbildfilm nicht mehr möglich sind.
Ich hatte keine Gelegenheit gehabt, die Mamiya zu testen. Dementsprechend gespannt war ich auf die Ergebnisse. Der erste äußere Eindruck war super.
Schnell noch zum Fotohändler des Vertrauens eine Packung Rollfilme erstehen und ab ging die Post. Und da steht man und hat das Gefühl, wieder ganz von vorne anzufangen. Wie bekommt man hier den Film eingelegt? Das Eintüdeln ist etwas fummeliger als bei den Kleinbildkameras, aber Gottseidank gibt es im Internet immer eine hilfsbereite Seele, die dir zeigt, wie es geht. Welch herrliches Geräusch, wenn man den Film aufzieht! Da werden Erinnerungen wach. Kommen wir zu den ersten Lernerfahrungen.
Lektion No. 1: Immer daran denken, den Objektivdeckel abzunehmen!
Lehrgeld: ca. drei bis vier Euro.
Lektion No. 2: Nach der Entnahme den Film UNBEDINGT sachgemäß verkleben, es kommt sonst zu Lichteinfällen.
Man könnte natürlich behaupten, dass der Heiligenschein von langer Hand geplant war.
Lektion No. 3: Das Fotografieren durch den Lichtschachtsucher ist charmant, erfordert aber ganzheitliches Umdenken.
Denn: Das Motiv wird spiegelverkehrt gezeigt. Da fühlt man sich zu Beginn wie ein betrunkener Seemann. Das Ausrichten der Kamera ist gewöhnungsbedürftig und man braucht etwas Geduld. Und für kleine Menschen wie mich hat der Lichtschachtsucher auch noch andere Auswirkungen. Denn ich muss mich mit meinem Kopf ÜBER der Kamera befinden, wenn ich fokussiere. Das bedeutet:
Lektion No. 4: Für Portraitaufnahmen empfiehlt sich bei kleineren Fotografen ein Prismensucher.
Auf dem Bild kann man gut erkennen, dass ich von unten das Modell anvisiert habe. Das gibt dem Motiv natürlich ein erhabeneres Antlitz, allerdings kippen auch die Linien (was man gut am Fensterrahmen sehen kann). Der Prismensucher wird gegen den Lichtschacht ausgetauscht und man sieht wieder wie durch eine „herkömmliche“ Kamera. Allerdings wird dadurch die Mamiya noch etwas schwerer. Was uns zur nächsten Lektion führt.
Lektion No. 5: Ein Stativ erleichtert lange Verschlusszeiten.
Zu meinen, man könnte mit einer 1,2kg schweren Kamera bei einer 60tel Sekunde aus der Hand schießen, ist doch etwas sehr ehrgeizig. Sobald man auf so lange Belichtungszeiten angewiesen ist, sollte man dringend ein Stativ zur Unterstützung heranziehen. Apropos Belichtungszeit:
Lektion No. 6: Die Belichtungsmessung sollte nicht vernachlässigt werden.
Da man nur zwölf Bilder zur Verfügung hat, möchte man ja eine einigermaßen vernünftige Belichtung hinbekommen. Es gibt diverse Apps für das Smartphone, meine Belichtungen damit waren zwar nicht verdorben, aber doch recht dunkel. Der 30 Jahre alte Belichtungsmesser war da überraschend exakt. Ein aktueller Belichtungsmesser wird da sicher noch verlässlichere Ergebnisse liefern. Bei meinem zweiten Film hatte ich dann auch einmal absichtlich eine Blende höher belichtet und erhielt recht schöne Pastell-Looks:
Lektion No. 7: Am besten fängt man mit Motiven an, die sich nicht so viel bewegen. Blümchen zum Beispiel.
Haben wir nicht alle mit Blümchen angefangen, als wir uns mit der Fotografie näher auseinander zu setzen begannen? Die sind nicht genervt, haben immer Zeit und zappeln nicht so viel (außer bei Wind).
Und es ist gerade dieses Wieder-bewusst-nachdenken, was ich an der analogen Fotografie schätze. Mit der digitalen Kamera sehe ich sofort, dass die Belichtung nicht gesessen hat. Hier muss ich vorher nachdenken. (Was aber gerade auch verdeutlicht, warum sich die digitale Fotografie so durchgesetzt hat.)
Meine Filme schicke ich übrigens in ein Labor, und lasse sie da direkt entwickeln und einscannen. Zwar habe ich im Keller noch eine Entwicklerstation stehen, die auf ihre Wiederbelebung wartet, aber mit dem Thema setze ich mich vielleicht im kommenden Winter mal auseinander.