Rezension: „Moonfire“ von Norman Mailer und der NASA
Wer den Mond ansieht, tut unwillkürlich einen tiefen Atemzug.“
Norman Mailer
Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich als Kind eine große Faszination für alles hatte, was den Weltraum betraf. Es war für mich das Größte, meinen Cousin im Süden Deutschlands zu besuchen, weil im Garten meiner Onkel und meiner Tante ein „Raumschiff“ stand. Mein Onkel hatte es zusammengezimmert und ich erinnere mich an leuchtende Dioden, Mischpulte und etwas wie einen alten Autositz, der darin verbaut war. Als Heranwachsende fand ich Science Fiction in jeder Form großartig. Oder nachts in den Sternenhimmel zu blicken und zu bemerken, wie es immer mehr werden, weil sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnen. Noch heute blicke ich mit ungläubigen Staunen auf Bilder der Milchstraße, Pferdekopfnebel oder Satellitenaufnahmen unserer Nachbarplaneten. Und während ich das hier schreibe, fällt mir auf, dass ich innerhalb eines Absatzes drei Mal das Wort „groß“ verwendet habe. Ein Zufall?
Als ich im Bekanntenkreis erzählte, welches Buch ich demnächst rezensieren werde, erzählte mir jeder (sofern er das Alter besaß) seine persönliche Geschichte, was er oder sie während der Mondlandung tat oder wie das Ereignis erlebt wurde. Die Mondlandung ist ohne Frage ein kulturelles Großereignis gewesen, welches im kollektiven Gedächtnis haften blieb – wie auch der Mauerfall, Tschernobyl oder 9/11. Zudem wurden die Bilder von Neil Armstrong live übertragen, was die Faszination erheblich erhöht haben dürfte. Da ist jemand unglaublich weit weg, auf einem toten Brocken Stein, den ich nur aus der Ferne kenne, und trotzdem kann ich diesen Menschen bestaunen. Ein Fünftel der Weltbevölkerung hat diese Liveübertragung gesehen. Hier sind wir auch bei dem Haupt-Pro-Argument für die bemannte Raumfahrt, dem kulturellen Nutzen. Ob die Kosten diesen Nutzen aufwiegen, ist eine ganz andere Frage. Man sollte auch nicht übersehen, dass diese Mission zwar als friedvoll proklamiert war, aber natürlich auch als Seitenarm des Kalten Krieges eine politische Intention hatte.
Der Text dieses Bildbandes stammt von Norman Mailer, welcher ursprünglich in mehreren Essays im Life-Magazine veröffentlicht worden war. Teilweise sehr gesellschaftskritisch und bissig, aber auch sehr nahe am Geschehen. Außerdem setzte er sich auch ausführlich mit der Person von Wernher von Braun auseinander; und der Art, wie die US-Amerikaner mit ihm und dessen Vergangenheit umgingen. Aufschlussreich ebenso die Charakterstudien über die drei Astronauten. Was ist eine Heldengeschichte (als solche wurde die Story ja vermarktet) ohne tragische Figur? Michael Collins (der Astronaut, der den Mond NICHT betrat) dürfte viele Zeitgenossen fasziniert haben. Und obwohl Mailer die gesamte Mission doch recht kritisch begleitete und die amerikanische Gesellschaft um sich herum gnadenlos skizzierte, blieb er etwas ratlos zurück, wie er die Mission als solche bewerten sollte. Sein Fazit: „Eine Gesellschaft, die alles herabsetzte, war Zeuge eines Ereignisses, dass sich nicht herabsetzen ließ.“
Ungefähr die Hälfte des Bildbandes dokumentiert die Vorgeschichte der Mission, die Entwicklung der Raumfahrzeuge und der Astronautenausbildung. Nebenbei kann man unglaubliche Details lesen: Beim Start wurden 2,5 Mio. Kilogramm Treibstoff in nur 51 Sekunden verbrannt.
Neil Armstrongs ökologischer Fußabdruck war also eine reine Katastrophe.
Die Fotografien des Bildbands sind einfach klasse. Besonders, wenn man bedenkt, unter welchen Umständen diese entstanden sind:
Oh mein Gott, sieh dir diesen Horizont an! (Collins)
Ist das nicht unglaublich? … mach ein Foto. (Armstrong)
Ooh, na klar, wird gemacht. [Kurze Pause.] Ich habe meine Hasselblad verloren … hat irgendjemand eine Hasselblad herumfliegen sehen? (Collins)“
Die erwähnte Hasselblad (eine 500EL, dazu einige Zeiss-Plenar-Objektive) besaß keinen Sucher. Der hätte auch wenig Sinn gemacht, denn mit einem Weltraumhelm auf dem Kopf kann man diesen ja nicht ans Auge halten. Also hatte man im Vorwege einfach mit Blende und Abstandsanzeige auf dem Objektiv geübt und so fokussiert. Dafür, dass „nur“ Hobbyfotografen an Bord waren, sind die Aufnahmen doch toll geworden. Die Bilder auf der Mondoberfläche entstanden mit einer Datenkamera, die eine Glasplatte mit eingraviertem Raster verwendete. So konnten die Entfernungen zwischen den Objekten im Bild ermittelt werden. Die Aufnahme des Titelbilds ist übrigens eine Retusche der NASA: Das Originalbild endet knapp über dem Tornister. Aus ästhetischen Gründen wurde der schwarze Himmel vergrößert. Die Bilder von der Mondoberfläche haben allgemein etwas Unwirkliches, man vermisst unterbewusst die Sterne. Bei den Aufnahmen war „Mondtag“, die Sonne schien. Wir sehen auf der Erde einen blauen Himmel, weil das Licht durch die Atmosphäre gestreut wird. Die gibt es aber auf dem Mond nicht, die Augen müssen sich an die Helligkeit gewöhnen. Wie bei Sonnenschein auf der Erde muss man auch auf dem Mond sehr kurze Belichtungszeiten wählen. Diese reichen nicht aus, um die Sterne auf dem Film abzulichten.
Viele Aufnahmen kennt man bereits. Eine wiederkehrende Erfahrung für mich: Es macht eben doch einen Unterschied, ob man ein Bild auf dem Display sieht oder auf Papier in den Händen hält. Es ist einfach nicht das Gleiche. Besonders schön die Aufklapptafeln, die mehrere Aufnahmen direkt nebeneinander zeigen (wie z.B. die SaturnV – Rakete beim Start oben) und die viele doppelseitigen Abbildungen. Da kann man richtig schwelgen.
Ich habe den Bildband mit meiner siebenjährigen Tochter zusammen angeschaut. Wir haben uns stundenlang damit beschäftigt und sind Fragen nachgegangen wie: Was ist ein Parabelflug? Warum ist das Essen eingeschweißt? Wieso zerfällt die Rakete? Pures Entsetzen über die Umweltverschmutzung übrigens. Und große Freude, als man Exponate auf den Fotos wiederentdeckte, die man kurz zuvor im Museum begutachten konnte. (An dieser Stelle an alle Schweizer Leser: Besucht das Verkehrshaus in Luzern!)
Mein Fazit: „Moonfire“ macht dem Ereignis Mondlandung alle Ehre.
Bibliographische Angaben: Norman Mailer. Moonfire. 348 Seiten. Erschienen bei TASCHEN. Derzeit 40 Euro.
{Werbung: Der TASCHEN Verlag hat mir das vorliegende Exemplar zur Verfügung gestellt. Ansonsten erhalte ich keinerlei Honorar. Meine Meinung bilde ich mir selbst.}