Rezension: „Inside North Korea“ von Oliver Wainwright
Zunächst: Ich bin weder Architektin noch passionierte Architekturfotografin. Ich werde also keine fachliche Abhandlungen über die bebilderten Bauten schreiben können und blicke unter diesem Aspekt als Laiin auf die Fotografien.
Der Kauf war für mich eine Dilemma-Situation. Vielleicht muss ich kurz etwas über die Entstehung des Buches und etwas zum Autor erzählen, damit dies plausibel wird. Autor Oliver Wainwright reiste 2015 mit einem chinesischen Reiseveranstalter nach Pjöngjang. Er dokumentierte dort die Architektur und Stadtlandschaft, der Bildband ist das Ergebnis davon. Eigentlich müsste das Buch also „Inside Pjöngjang“ heißen. Denn über andere Städte oder gar das Landleben erfährt man nichts.
Man sollte sich darüber im Klaren sein, wer/was der Autor ist – und was nicht. Als Architekt war er für die Stadtverwaltung London und das OMA in Rotterdam tätig sowie Gastdozent an renommierten Universitäten. Er schreibt für The Guardian und verdingt sich als Fotograf. Was Architektur angeht, scheint der Mann also zu wissen, wovon er spricht. Kommen wir nun zu dem, was er NICHT ist. Er ist kein Historiker. Und er scheint auch kein Menschenrechtsaktivist zu sein. Zumindest konnte ich darauf keine Hinweise finden.
In seiner Einleitung schreibt Wainwright darüber, wie er auf Pjöngjang aufmerksam und neugierig wurde. Diese Stelle wäre perfekt gewesen, um Zweifel an diesem Reisevorhaben zu äußern. Tut er aber nicht. Und das ist auch schon mein inhaltlicher Hauptkritikpunkt. Jeder, der als Tourist ein totalitäres Regime besucht, sollte sich darüber im Klaren sein, dass er damit diese Regierung legitimiert. Das einzige Mittel, das wir Zivilpersonen haben, ist der Boykott. Nordkorea ist immer noch eine der abgeschottesten Diktaturen. Man kann sich als Nordkoreaner nicht einfach so in Pjöngjang niederlassen. Es wird dir eine Wohnung zugeteilt. Da sind Wohnhäuser nur für Hochschullehrer gebaut worden oder für Ingenieure. Gleichwohl gibt es mittlerweile einen florierenden Immobilien-Schwarzmarkt, aber auch den kann sich nur eine Elite leisten. Man erfährt im Prolog, dass in Pjöngjang eine Stunde Reiten etwa 5 Dollar kosten, was wiederum dem durchschnittlichen Wochenlohn der Nordkoreaner entspricht. Der durchschnittliche Nordkoreaner wird nicht in Pjöngjang leben. Wainwright erläutert, wie reglementiert die Reisegruppe war und dass immer wieder mal das Elend spürbar war, man Zwangsarbeiter beobachten oder einen kleinen Einblick in die Schattenseiten des Regimes bekommen konnte, trotz der ständigen Überwachung durch die Reiseleitung. Er kritisiert das mörderische Bautempo, welches schon zahlreiche Opfer gefordert habe. Aber das kommt im Prolog doch sehr nebenher. Auf der anderen Seite kann ich mir auch vorstellen, dass bereits diese spärlich geäußerte Kritik schon ausreicht, nicht mehr bedenkenlos nach Nordkorea reisen zu können. Zwischen den Zeilen hatte ich immer wieder das Gefühl, dass Wainwright zwischen Bewunderung für die Städteplanung und einer Verurteilung der Zustände hin- und hergerissen ist.
Und nun kommen wir zu meinem Dilemma. Wenn ich diese Meinung habe, wieso kaufe ich dann dieses Buch? Legitimiere ich damit nicht Wainwrights Reise?
Der Grund sind die Bilder, denn mit ihnen entlarvt Wainwright die nordkoreanische Diktatur, wie man es nicht besser könnte. Da ist das Bild zweier gegeneinander spielender Volleyballteams in einer großen Halle – und kein einziger Zuschauer weit und breit. 3500 leere Plätze in einem Konzerthaus. Leere Umkleideräume, die schon an lost place-Fotografie erinnern. Ein Triumphbogen, größer als sein Vorbild in Paris, mit dreizehn Personen in dessen Nähe und einem VW-Bus. Eine Autobahn ohne Autos. Zwei riesige, groteske Bronzestatuen von Kim Jong Sun und Kim Jong Il, umrankt von 56 Blumenbouquets (hab sie selbst gezählt) und unzählbaren kleinen Gebinden, außerdem vier kleinen fast schon deplatziert wirkenden Menschen, die davor entlanglaufen und die Proportionen verdeutlichen. Monumentalistische Hochhäuser vor aufgesprungenem Asphalt. Es passt einfach nicht zusammen.
Ich weiß nicht, unter welchen Bedingungen Wainwright die Bilder anfertigte. Ob es überhaupt gestattet war, Passanten aufzunehmen. Aber die Leere in den Bildern hinterlässt bei mir als Betrachterin folgenden Eindruck: Seht her, da ist dieses Regime, dass sich so gern als fortschrittlich darstellen möchte. Aber es betreibt Architektur nicht für die Menschen, sondern gegen sie. Die Bauten sollen nicht unterstützen oder für sie da sein. Sie sollen einschüchtern. Aber die Menschen, die einer Stadt ihr Leben geben, fehlen. Wenn sie da sind, wirken sie wie ein Teil einer Kulisse. Nordkorea boykottiert sich selbst.
Über den naiven Reisebericht eines Michael Palin (zu sehen auf YouTube) könnte sich ein Kim Jong Un die Hände gerieben haben. Über dieses Buch eher nicht.
Zur Architektur: Auf der einen Seite ist man überrascht von der Farbenvielfalt. Die Kims haben ganze Häuserblocks in Pastelltönen streichen lassen. (Dazu passend die aus meiner Sicht sehr gelungene äußere Aufmachung des Bildbandes, man beachte die schon fast niedlichen Lesebändchen in hellblau und rosa.) Teilweise scheinen die Bauten aus einem alten Science-Fiction-Film zu stammen. Das hat alles einen schon fast surrealen Retro-Charme, von dem ich nicht so richtig weiß, ob ich ihn gut finden darf oder soll. Auch der Einblick in die Städteplanung war für mich sehr informativ, zum Beispiel die Verknüpfung zwischen Ideologie/Symbolik und Form eines Gebäudes.
Der Buch kommt, wie man es vom TASCHEN-Verlag gewohnt ist, sehr wertig daher. Ein schöner, griffiger Einband. Die ersten Seiten beginnen mit propagandistischen Mosaikbildern, die in den U-Bahn-Stationen von Pjöngjang zu finden sind. Mit solchen Abbildungen schließt der Band auch. Das Vorwort ist sowohl in Englisch, Deutsch als auch in Französisch zu lesen. Passend zu den pastellfarbenen Häusern Pjöngjangs auf rosafarbenen, hellgrünen und hellblauen Papier gedruckt. Besonders hat mir hier gefallen, dass die übersetzten Texte mit unterschiedlichen Illustrationen versehen sind. So ist es auch kurzweilig, durch die anderssprachigen Prologe zu blättern.
Das Fotopapier des Bildteils ist griffig und fest, etwas matt, das fühlt sich richtig gut an. Die Farbwiedergabe ist erstklassig. Wainwright hat für seine Fotos einen eher entsättigten, analog anmutenden Look gewählt. Dadurch ergänzen sich Inhalt und Aufmachung der Bilder sehr stimmig.
Der Band ist in folgende Kapitel zusammengefasst: City Views & Housing, Monuments, Museums & The Arts, Sports & Education, Leisure & Hospitality, Pjöngjang Metro. Die Bildunterschriften sind wie das Vorwort dreisprachig und bieten Wissenswertes über die gezeigten Szenen/Gebäude. Ich musste doch sehr schmunzeln, als ich las, dass die U-bahn-Wagen ursprünglich mal in Ost-Berlin gefahren sind. Besonders beeindruckt hat mich das Kapitel Sports & Education, weil hier die Ambitionen Nordkoreas und die Wirklichkeit so eindrucksvoll aufeinandertreffen. Ein Riesenstadion für eine Fußballweltmeisterschaft, die niemals stattfinden wird.
Zu den hier abgedruckten Bildern: das Cover ist eine Anfertigung meinerseits. Die unteren Abbildungen wurden mir freundlich vom TASCHEN-Verlag zur Verfügung gestellt. Der Artikel spiegelt meine Meinung wieder, welche ich mir selbst bilde. Ich erhalte kein Honorar für meine Rezensionen.
Bibliografische Angaben
Autor: Oliver Wainwright ; Titel: Inside North Korea; erschienen 2018 bei TASCHEN, 240 Seiten, Preis derzeit 40 Euro.
{Werbung, da Nennung eines Produkts und eines Anbieters.}