Photoshop: So viel wie nötig und so wenig wie möglich?
Mitnichten! Ein kleiner Einblick in meine Retuschephilosophie.
Mit Photoshop verhält es sich ein bisschen wie beim Friseur. Da hört man von den Kunden auch die unterschiedlichsten Einstellungen und Wünsche: „Komplett neue Farbe, bitte.“ – „Nicht so viel, nur die Spitzen!“ – „Dieser Wirbel stört mich schon mein ganzes Leben, können wir da was machen?“ „Ich will eine totale Veränderung.“ „Oh, so hatte ich mir das gar nicht vorgestellt…“ Und während man bei Photoshop doch relativ einfach etwas zurückbasteln kann, braucht so ein Haarschnitt schon eine Weile, bis er wieder rausgewachsen ist. 1:0 für Photoshop. Aber braucht man das überhaupt? Ich finde, ja! Und nun erkläre ich, warum.
- „Das wurde schon immer so gemacht!“ Okay, DAS ist nun wahrlich kein Argument. Obwohl es den Tatsachen entspricht. Es gibt jede Menge alter Bilder aus analogen Zeiten, auf denen noch die Retuscheanweisungen für das Labor vermerkt sind. Das sieht dann ähnlich aus wie auf dem Titelbild oben. Früher hat man Tage in der Dunkelkammer verbracht, heute verbringt man einige Stunden vor dem Rechner. Und nun ein kleiner Hinweis an diejenigen, die sich über Foodfotografie lustig machen: denkt ihr allen Ernstes, Rembrandts Apfel hat wirklich so ausgesehen wie auf seinen Bildern? Eher nicht. Auch in der Malerei wurde geschönt. Das war auch allen Zeitgenossen klar. Ist das jetzt verwerflich? Ich denke, es kommt auf den Gedanken dahinter an. Ein Bild ist nicht nur ein Abbild. Es ist auch eine Vision. Von etwas, wie es sein könnte. Wie ich etwas sehe, wahrnehme, erlebe als Urheberin. Und bei menschlichen Motiven auch davon, wie sich das Model sieht, wahrnimmt und erlebt. Ich kann daran nicht wirklich etwas Schlimmes entdecken. Wie ist denn deine Vision von dir? Picklig, mit müden Augenringen und verfusselter Bluse?
- Die Kamera ist kein Auge. Unsere Augen sind super, ein Meisterwerk. Das Farbspektrum, dass wir wahrnehmen können. Mit wie wenig Licht um uns herum wir noch etwas erkennen können, das ist einfach phänomenal. Und das wichtigste: wir sehen räumlich. Ein Bild ist nicht räumlich, es ist flach. Und um den Eindruck von Plastizität zu verstärken, ist Photoshop ein tolles Werkzeug. Ich kann helle Bereiche mehr aufhellen, Schatten mehr abdunkeln, Schatten entfernen, die irgendwo nicht hingehören. Dadurch verstärke ich den Eindruck, dass das Motiv Tiefe hätte, die so von der Kamera nur bedingt darstellbar ist. Deshalb ist Licht auch bereits bei der Aufnahme so ein wichtiges Thema. Unser Auge nimmt zuerst die hellen Bereiche wahr. Als Beispiel nehme ich folgende Situation. Das Model trägt einen hellen Pullover. Der Pullover ist heller als der Rest des Motivs und lenkt daher die Aufmerksamkeit des Betrachters. Ist es ein NoGo, wenn ich jetzt den Pullover leicht abdunkle, bzw. das Gesicht aufhelle?
- Fehler passieren. Photoshop ist auch ein Werkzeug, mit dem man etwas reparieren kann. Ich bevorzuge es, Fehler zu vermeiden, aber manchmal läuft es halt anders als geplant. Es kann immer mal sein, dass ich etwas in der Hitze des Gefechts übersehen habe. Nehmen wir das Titelbild. Es ist nicht perfekt (der Fokus sitzt auf dem hinteren Auge), aber ich mag es. Ein Zufallstreffer, eine meiner ersten Aufnahmen mit dem Model. Ich wollte eigentlich nur die Belichtung einstellen, den Reflektor passend aufstellen und das Model noch richtig positionieren. Und dann schenkt es mir diesen Blick. Jetzt ist da dooferweise dieser Grashalm im Weg. Es wäre doch Sünde gewesen, wenn ich den gelassen hätte, oder?
Zum Schluss möchte ich noch kurz erläutern, wie ich an meine Portraitbilder herangehe. Das Wichtigste ist für mich die Absprache mit dem Model. Wie stehst du dazu? Was soll/darf/nicht gemacht werden? Ich für meinen Teil entferne nur Dinge, die temporär sind, wie Hautunreinheiten, Augenringe, Herpes, wunde Lippen, verwischter Mascara etc.pp. Wenn mir ein Model jetzt mitteilt, dass es total unter seiner Orangenhaut leidet, wer wäre ich denn, wenn ich sagen würde: „Lebe damit!!“ Ich war hier schließlich nicht allein an der Entstehung des Bildes beteiligt. Wobei ich nicht verschleiern möchte, dass auch ich eine Schmerzgrenze habe.
Ich bearbeite das Bild so, dass der Beschnitt stimmig ist und das Motiv erkennbar ist. Störende Elemente oder Fehler entferne ich. Ich versuche, den Blick des Betrachters zu lenken. Falten mildere ich ab. Die werden von der Kamera meistens stärker dargestellt, als sie sind. Das Gesicht bearbeite ich so, dass es gesund aussieht. Poren entferne ich in der Regel nicht, sonst würde ich Barbies fotografieren. Am meisten bastele ich an der Lichtstimmung und Farbgebung, da mich das darin unterstützt, eine bestimmte Stimmung zu transportieren. Teilweise hängt dies auch sehr von dem Motiv und der Umgebung ab.
Das Ideal ist das große Ganze. Beim Betrachten das Gefühl zu haben: jau. Passt.